Wandel – Werden können, was wir sein sollten.

Manchmal müssen wir die bekannten Pfade verlassen und etwas wagen, das wir so noch nie zuvor erlebt oder gelernt haben. Und, ganz ehrlich: ich fühle mich sicherer umgeben von und mit dem, was ich kenne, mit Vertrautem und Vertrauten, auf bekanntem Boden. Aber lang halte ich es dann am Ende nicht aus, wenn aus dem Vertrautem Stillstand wird. Für mich gilt: Veränderung ist das einzig beständige. Das Leben selbst – Veränderung. Wandel, Entwicklung, zu wachsen. Und wenn ich mich umdrehe, ist das nicht nur Thema in meinem zweiten Krimi „Die Blaue Reiterin“, oder bezogen auf meine anderen Bücher.

Kurz vor der Veröffentlichung meines fünften Buches ist mir eine Begebenheit dazu – zu diesem Wandel & Wachsen – eingefallen, so tief vergraben in der Vergangenheit, dass ich keine Ahnung habe, wie sie überhaupt wieder ans Licht gelangen konnte. Eine Erinnerung und eine Frage, wie wir werden, was wir sein könnten.

Der kleine, grüne Stein

What????

In meinem Ausbildungsjahrgang (damals … es begab sich zu einer Zeit 😉 ) hat sich den definitiv keiner gewünscht: den „kleinen, grünen Stein“. Damals war ich ungefähr 16, die meisten meiner Mitazubis waren älter. Ich war wegen alles und jedem höllennervös. Besonders in unseren Schulungswochen. Teil davon war die Aufgabe, eine ca. 5minütige freie Rede halten zu müssen vor unseren Mitazubis und den Ausbildern. Wir wurden dafür im Zufallsprinzip ausgewählt oder konnten uns freiwillig melden. Insbesondere die ersten Male hoffte ich, nicht gezogen zu werden und mich furchtbar zu blamieren. Ich hatte ein paar mal Glück. Musste nicht vor dieses Auditorium von ca. 20 Leuten eine Rede halten.

Worüber?

Normalerweise basierte das Thema aus einer Auswahl der aktuellen Zeitungsartikel. Gezogen wurde aus Vorschlägen dieser Themen und Vorschlägen der Mitazubis. Zufallsprinzip, aber im Großen und Ganzen Thema, Argumente, Rahmen gesetzt. Etwas, auf das man sich vorbereiten kann, entlang hangeln und gesichert von den bekannten, bereits erzählten Fakten. So in etwa hatte man also eine Ahnung, worüber man versuchen sollte, die Rede zu halten. Und natürlich wurde ein Urteil gefällt, ob man etwas halbwegs kluges und beeindruckendes oder unterhaltendes „geschafft“ hat – inhaltliches und methodisches Feedback. Nachdem das Thema stand, durfte man sich vorbereiten, z.B. für Recherche zum Thema in den News.

In dem Themen-„Lostopf“ war aber auch eine andere Karte. Auf dieser stand keine Headline aus den News. Darauf standen vier Worte: Der kleine, grüne Stein.

Der Lostopf

Niemand wollte diese Karte. Nicht das Ungewisse, dieses Angreifbare. Dann, an einem Tag – das Prozedere hatte ich bis dato schon ein paar mal beobachtet – meldete ich mich, natürlich müsse ich mein Thema noch ziehen. Alle drückten die Daumen, das niemand diese Karte ziehen musste. Worauf sollte man sich schließlich vorbereiten? Und ich?

Ehrlichgesagt, hab ich mir genau diese Karte gewünscht.

Warum?

All die Jahre später gibt es nichts über eine faszinierende Erleuchtung zu berichten., weshalb. Ich erinnere mich an ein diffuses Gefühl, dass mir der kleine, grüne Stein 1000x lieber war, dass ich 1000x spannender fand, diesen „kleinen, grünen Stein“ zu nutzen und eine Geschichte neu und frei von Grenzen zu erzählen. Das war das, was ich empfunden habe. Warum? I don´t know.

Dann: der Moment, eine Karte aus der Themenauswahl zu ziehen, ich trat nach vorne. Die Geschichte im Kopf, was ich erzählen wollen würde, musste ich auf mein Glück hoffen. Ich streckte meine Hand aus, sie zitterte. Auch die anderen Azubis waren aufgeregt, die eine freie Rede zu halten hatten. Ich hatte eine Geschichte, ich wollte diese eine Karte. Und was auch immer da passiert ist: ich zog diese Karte. Zufall, Glück?

Definitiv nichts wozu ich in einem Zeitungsartikel Informationen und Argumente geliefert hätte. Nichts, was meine Zuhörer mit einer gewissen Erwartung auflud. Kein Sicherheitsnetz.

Ohne Netz und doppeltem Boden auf dem Weg … wohin?

Natürlich war ich immer noch nervös bis zum Ende. Die Ungewissheit mich selbst nicht durch andere Quellen vorbereiten zu können, trug durchaus dazu bei. Aber ich konnte meine Geschichte erzählen, auf meine Weise. Und rückblickend irgendwie auch der erste Mini-Baby-Schritt auf meinem Weg und was dieser Weg für mich bedeutet.

Am Ende war ich zufrieden. Daran erinnere ich mich auch heute noch sehr klar: dieses Gefühl der Zufriedenheit. Natürlich trotzdem Zweifel, Angst, mich blamiert zu haben, etc. Verschwommen erinnere ich mich an das Feedback: positiv. Vor allem aber dieses Gefühl, und es fühlte sich richtig an. Mit den vielen Zweifeln an mir selbst hab ich das allerdings eine ganze Weile verdrängt. Aber irgendwie komme ich immer wieder darauf zurück. Bis in  …

Meine Bücher

In meinem neuen Krimi DIE BLAUE REITERIN hat die Hauptfigur Theres Hack wieder einmal eine Entscheidung getroffen. Wieder hat sie verlassen, was sicher war. Nachdem sie den Neuanfang in der alten Heimat wagt, schlägt die Pandemie zu. Alles so zu belassen, funktioniert nicht mehr.

Die zweite, sehr wichtige Figur im Roman ist die Künstlerin Hanna. Mehrmals in ihrem Leben steht sie vor der Entscheidung für oder gegen das, was ihr Sicherheit und Vertrautes bieten könnte, für oder gegen das, was von ihr erwartet wird. Und ihr Lebensweg gibt ihr Recht. In DIE BLAUE REITERIN steht Hanna dann wieder vor einer dieser Entscheidungen – und ja: es wäre kein Krimi, wenn es nicht sogar um Leben und Tod ginge. Hanna könnte ein ruhiges Leben weiterführen, oder mit ihrer Vergangenheit aufräumen. Dass diese Entscheidung nicht einfach ist und nicht nur auf die Künstlerin auswirkt => selbstredend. Auf jeden Fall gerät eine Menge in Bewegung.

Im Wandel

Ich denke, wenn wir uns weiterentwickeln wollen – nicht nur persönlich, sondern als Gesellschaft, können wir nicht immer nur das tun, was wir schon kennen, was vertraut ist. Zu wachsen, die Person zu werden, die man sein könnte, geschieht nicht durch die Wiederholung des immergleichen. Veränderung und Wandel ist der Schlüssel zu wachsen.

Wir müssen die bekannten Pfade verlassen und etwas wagen, das wir so noch nie zuvor erlebt oder gelernt haben. Jeder einzelne. Vielleicht ist Wandel und Veränderung im ersten Moment schmerzhaft, vielleicht bedeutet das auch, etwas loszulassen, was wir kennen, was uns aber vielleicht schon lange nicht mehr gut tut. Vielleicht sind die Folgen auch nicht immer positiv, aber wir lernen daraus – nicht nur persönlich, sondern eben auch im „Big Picture“.

 

 

Bilder im Artikel: https://www.raimund-verspohl-portraits.com